Fortgeschrittenes Melanom: Treffen des Melanoma Patient Network Europe
Könnten gezüchtete Minitumore, veränderte RNA-Proteine, Stuhltransplantationen oder cybergenetische Zelltherapien die Wende in der Melanomtherapie bringen? Wie beantragt man EU-Projekte und überprüft deren Wirksamkeit? Wie finden Patienten nach Versagen der Standardtherapie Hilfe? Um diese Fragen ging es beim diesjährigen MPNE Hubs 2024 in Berlin.
Die Überlebensrate bei fortgeschrittenem Melanom hat sich dramatisch verbessert, aber wir verlieren leider noch zu viele Patienten an diese aggressive Krebserkrankung. Wir sind deshalb auf Forschung und deren rasche Umsetzung in die klinische Praxis angewiesen, wenn wir dem fortgeschrittenen Melanom seinen Schrecken nehmen wollen.
Das Melanoma Patient Network Europe ist eine europaweite Vereinigung von Betroffenen und Angehörigen, die seit über zehn Jahren sehr viel bewegt und besonders die Beteiligung von Krebspatienten in der Forschung stark vorangetrieben hat. Martina Kiehl, Anne Wispler und Hans Bötel vom HKND sind so oft wie möglich dabei.
Das Thema des diesjährigen MPNE-Hubs-Treffens in Berlin war Advanced_Melanoma – fortgeschrittenes Melanom. Dazu waren sehr engagierte Vortragende aus dem In- und Ausland eingeladen, um vielversprechende Strategien zur optimierten Behandlung des Melanoms vorzustellen und zu diskutieren.
Die anderen 50 %: Verbesserung der Überlebenschancen bei fortgeschrittenem kutanem Melanom
James Larkin, einer der führenden Melanomexperten Großbritanniens, beschrieb in seinem Vortrag seine Hoffnung, dass aufgrund medizinischer Erfolge immer weniger Patienten im fortgeschrittenen Stadium IV zu therapieren sein werden. Das jüngste 10-Jahres-Update der CheckMate-067-Studie zeigte ein anhaltend langfristiges Gesamtüberleben bei fortgeschrittenem Melanom. Es sei ein Glück, dass eine medizinische Studie die Patienten über einen so langen Zeitraum begleiten konnte und so gute Daten gebracht hat.
Eine Herausforderung bliebe aber das manchmal sehr rasche Voranschreiten der Erkrankung am Anfang der Therapien.
Neoadjuvant – schon vor der Operation – behandeln
Die neoadjuvante Therapie des Melanoms, die sich in neueren Studien bewährt hat und bald zum Standard wird, wird die Chancen von Melanompatienten deutlich verbessern. (Hinweis für Deutschland: Aktuell ist die Therapie hauptsächlich in spezialisierten Zentren oder im Rahmen klinischer Studien verfügbar. Es wird jedoch erwartet, dass sie in den kommenden Jahren in die klinischen Leitlinien aufgenommen wird.)
Nebenwirkungen rasch behandeln und insgesamt verringern
Daneben könnte es erfolgreich sein, mit angepassten Dosen bei der Immuntherapie zu arbeiten. Dadurch würde man die oft gefürchteten Nebenwirkungen verringern. Bei den Nebenwirkungen ist ohnehin noch mehr Forschung und rechtzeitiges Eingreifen der Behandler gefragt.
Strategien bei Hirnmetastasen
Wenn das Gehirn betroffen ist, wird die Lage besonders ernst. Hier wird es auf noch raschere und bessere Diagnostik und konsequente Therapie von Hirnmetastasen ankommen, damit sie noch besser kontrollierbar werden. Die Kombination Ipi/Nivo bleibt die beste Wahl, und eine prophylaktische Hirnbestrahlung lehnt Larkin wegen der Nebenwirkungen ab.
Organoide, individuell gezüchtete Minitumore
Könnte man durch individuell nachgezüchtete 3D-Tumormodelle, sogenannte Organoide, besser die Wirksamkeit von Medikamenten testen? Die wissenschaftliche Evidenz dafür wächst, dass Tumore eine Heterogenität aufweisen, die über die genetische Ebene hinausreicht. Die Methode. Reverse Clinical Engineering (RCE) basiert auf dieser Annahme. Das Konzept stellte Christian Regenbrecht, ASC Oncology, aus Berlin vor. Tumor-Organoide sind praktisch kleine Abbilder des individuellen Tumors. An ihnen können verschiedene Medikamente und Kombinationen von Medikamenten getestet werden, um wirksame Therapien zu identifizieren. Eine Testung von immunonkologischen Medikamenten ist jedoch bisher noch nicht routinemäßig möglich.
RNA-bindende Proteine (RBPs)
Die Forschung von Fatima Gebauer, tätig am Centre for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona, beleuchtet die zentrale Rolle von RNA-bindenden Proteinen (RBPs) bei der Metastasierung von Melanomen. RBPs regulieren Prozesse wie Translation, Stabilität und Lokalisierung von RNA, und sind somit entscheidende Akteure in der Krebsbiologie. Gebauer untersucht, wie spezifische RBPs wie CSDE1 und PDIA6 die Tumorentwicklung und Metastasierung bei Melanomen fördern. Die Erforschung der Wirkungsweisen dieser Proteine eröffnet neue Perspektiven auf ihre Rolle in der Krebsbiologie, wo sie diagnostische Marker oder therapeutische Ziele für innovative Krebstherapien sein könnten.
Personalisierte Medizin: Update zu DRUP-Like Clinical Trials
Live Fagereng vom Oslo University Hospital stellte die Initiativen PCM4EU und PRIME-ROSE vor. DRUP (Drug Rediscovery Protocol) sind klinische Studien, die darauf abzielen, die Wirksamkeit von zugelassenen Medikamenten in Off-Label-Anwendungen zu untersuchen. Es geht darum, Patient*innen mit seltenen genetischen Tumorveränderungen gezielt zu behandeln, indem auf molekularen Testergebnissen basierende personalisierte Therapien eingesetzt werden.
Der Ansatz nutzt vorhandene Medikamente für neue Indikationen, insbesondere bei Krebspatient*innen mit spezifischen genetischen Mutationen, für die es keine standardisierten Behandlungsoptionen gibt. Solche Studien fördern die personalisierte Medizin und ermöglichen es, innovative Therapien schneller und sicherer zu testen.
Die derzeitigen Probleme dabei:
- Der Zugang zu präziser Diagnostik und Behandlung für alle Patienten, die sie benötigen, weil Standardtherapien bei ihnen versagen, sollte gerecht sein. Dafür müssen die notwendigen Strukturen geschaffen werden.
- Die Erstattung von Off-Label-Anwendungen ist die „Stiefschwester“ der Erstattung von zugelassenen Therapien – und das, obwohl 30 % der Krebstherapien Off-Label sind. Das heißt, bis zu einem Drittel der Therapien erfolgen unter für Behandler und Patienten willkürlichen und unsicheren Bedingungen.
- Immer wieder erleben wir, dass Kliniker sich weigern, Patientenproben für detaillierte molekulare Tests einzuschicken, obwohl die Patienten die Kriterien erfüllen würden.
Warum ist das Mikrobiom so wichtig
Einen spannenden Einblick in die Forschung zum Mikrobiom (der Darmflora in Bezug auf Krebserkrankungen) gab Valerie Diane Valeriano, Karolinska Institut, Department for Translational Microbiome research and pandemic preparedness, Schweden. Sie erläuterte, wie das Mikrobiom die Reaktion auf Immuntherapien bei Melanomen beeinflusst, und berichtete über ihre Arbeit im Rahmen des OncoBiome-Projekts (OncoBiome).
Bisher wurden Studien zum Darmmikrobiom meist in kleinem Rahmen durchgeführt, doch es besteht ein dringender Bedarf, diese Forschung zu erweitern. Ziel ist es:
- Krebsspezifische Mikrobenarten vollständig zu identifizieren und zu charakterisieren, indem robuste und standardisierte Methoden genutzt werden, um mit Krebs verbundene Mikrobiom-Muster zu erkennen.
- Ihre klinische Relevanz für die Prognose zu bewerten.
- Diagnostische Werkzeuge zu entwickeln, um Prävention, Vorhersage und Personalisierung der Krebstherapie zu ermöglichen.
Es wurde auch über Möglichkeiten für autologe Transplantationen gesprochen. Wenn das eigene Mikrobiom „re-funktionalisiert“ werden kann, könnte dies einen innovativen Ansatz für personalisierte Therapien darstellen. Diese Reaktivierung der mikrobiellen Funktion könnte helfen, die Wirksamkeit von Behandlungen wie Immuntherapien zu steigern, indem das Mikrobiom des Patienten gezielt modifiziert wird. Das könnte nicht nur die Erfolgsrate bei Therapien erhöhen, sondern auch die Notwendigkeit für Spender-Mikrobiota-Transplantationen verringern, was ethische und praktische Herausforderungen mindern würde.
Forschungen auf diesem Gebiet unterstreichen die Bedeutung der gezielten Modulation des Mikrobioms für die Zukunft der personalisierten Medizin.
Cybergenetische Zelltherapie
Mustafa Khammash, Department of Biosystems Science and Engineering (D-BSSE), ETH Zürich, war ursprünglich Elektroingenieur und hat sich nun der Cybergenetik verschrieben.
Cybergenetische Zelltherapie (Cybergenetics) nutzt fortschrittliche Technologien, um Zellfunktionen mithilfe kybernetischer Prinzipien präzise zu steuern. (Dabei bezieht sich der Begriff Kybernetik auf Systeme der Kommunikation und Steuerung z.B. in Maschinen und Lebewesen.)
Wissenschaftler modifizieren Zellen mit synthetischen genetischen Schaltkreisen, so dass sie Umweltsignale erkennen, Informationen verarbeiten und gezielte therapeutische Aktionen ausführen können (z. B. Medikamentenproduktion, Tumorbekämpfung).
Modifizierte Immunzellen (z. B. CAR-T-Zellen) werden durch cybergenetische Designs weiter verbessert, um Tumoren präziser anzugreifen und Nebenwirkungen zu reduzieren.
Mithilfe von Rückkopplungsschleifen integriert die Cybergenetik Kontrollmechanismen, die es den Zellen ermöglichen, ihr Verhalten dynamisch anzupassen und so Sicherheit und Wirksamkeit der Therapien zu erhöhen. Cybergenetische Systeme beinhalten Schutzmechanismen wie „Not-Aus-Schalter“, um unerwünschte Effekte zu minimieren.
Dieses Feld entwickelt sich rasant dank Fortschritten in der Gentechnik (CRISPR), rechnergestütztem Modellieren und Bioengineering. Es verspricht, die Medizin durch personalisierte, adaptive und präzise Behandlungen zu revolutionieren.
Aderhautmelanom: leichte Fortschritte bei uneinheitlichem Zugang in Europa
Zwei Therapien wurden inzwischen für metastasiertes Aderhautmelanom (ADHM) zugelassen. Obwohl dies ein Fortschritt ist, bleiben Wirksamkeit und Zugang weiterhin problematisch. Jo Gumbs, Gründerin von Ocular Melanoma UK gab einen generellen Überblick und berichtete von der gerade erfolgten Zulassung von Tebentafusp in Großbritannien.
Mehrere Vorträge behandelten potentielle Forschungs- und Behandlungsansätze. ADHM-Patienten weltweit stehen nicht nur vor Herausforderungen der seltenen Tumoren, sondern sind oft mit dem Missverständnis konfrontiert, dass es sich um eine Unterart des kutanen Melanoms handelt.
Marc-Henri Stern vom Institut Curie berichtete über eine wichtige neue Arbeit zu Neoantigenen bei Aderhautmelanomen mit SF3B1-mutierten Tumoren – könnte man also Impfstoffe gegen SF3B1-mutierte Tumoren entwickeln?
Patienteninformationen: das vom MPNE entwickelte V2A2-Tool
Die Erstellung von Patienten-Informationsmaterial hat oft Schwächen. Die Checkliste des MPNE, das V2A2-Tool untersucht Kriterien wie Lesbarkeit, Datierung, Quellenangaben, und diese können wir nutzen, um die Spreu vom Weizen zu trennen.
Wir wissen, dass Wissen Patienten schützt. Daher teilen wir als Melanom-Community aktuelle wissenschaftliche Informationen im MPNE über Foren und Sprachbarrieren hinweg. Unser Wissen ermöglicht uns auch die aktive Beteiligung an Forschungsprojekten. Wir hoffen, dass das V2A2-Tool anderen Gemeinschaften hilft, unsere Erkenntnisse zu übernehmen und Patienten zu schützen.
Das MPNE-Treffen zeigte erneut: Forschung und Innovation sind essenziell, um die Herausforderungen des fortgeschrittenen Melanoms zu bewältigen.
Anne Wispler